Erfolgreiche digitale Kommunikation

In Zeiten der Personalisierung wird es immer wichtiger Website-Nutzer als das zu sehen, was sie sind: Einzelne Individuen und nicht nur Impressionen im Analytics-Tool. Erfolgreiche Online-Kommunikation hängt maßgeblich davon ab, die eigene Zielgruppe und ihre kognitiven Muster und Heuristiken zu entdecken. Wie aber entwickelt sich ein Draht zu den Nutzern? Wie kann die eigene Perspektive neu justiert werden? Die Systemtheorie liefert Antworten. Am Anfang aber steht die …

Disclaimer: Dieser Artikel liefert nur eine grobe Übersicht über das Thema systemische Optimierung im digitalen Umfeld. Die geballte Ladung finden Sie in der Website Boosting Ausgabe 49 (05-06/2018). Dort finden sich weitere exklusive Inhalte wie: Ein Methodenkoffer für systemische Fragen, ein Beispiel für den Einsatz kognitiver Heuristiken, vorteile systemischen Denkens für den Online-Dialog, uvm. >>> Zur Ausgabe

… konstruierte Realität des Menschen (Konstruktivismus)

Es ist schon absurd, wenn das menschliche Gehirn versucht das menschliche Gehirn zu verstehen. Fast so, als würde eine Katze ihren eigenen Schwanz jagen. Dennoch haben Neurobiologen, vor allem in der nahen Vergangenheit interessante Entdeckungen zu Tage fördern können. Besonders spannend sind Studien zu Extremwerten, den Savants (dt. die Wissenden). Diese rund 100 Menschen weltweit haben außergewöhnliche Begabungen in Mathematik, obskurem Faktenwissen oder Musik, sind aber oft nicht in der Lage, ein Ei zu braten, geschweige denn die Informationsflut auf einem belebten Platz zu filtern. Diese “Unfähigkeit” beruht darauf, dass die Savants zusätzliche Areale ihres Gehirns für die Nutzung ihrer außergewöhnlichen Begabungen belegen. Areale, welche der Otto-Normalverbraucher für selektive Wahrnehmung oder Gedächtnisspeicher reserviert, um vereinfachte Modelle unserer Welt zu projizieren. Hierfür sorgen sogenannte Mindsets oder auch Bewusstseins-Filter. Filter, welche ermöglichen, dass wir größtenteils nur das sehen, was wir auf Basis unserer bisherigen Erfahrungen erwarten. Eine subjektive Realität also. Hätten wir diesen Bewusstseins-Filter nicht, würden wir die Welt ähnlich wahrnehmen wie die Savants. So wie sie wirklich ist: Jeden Tag anders.

90 % unbewusst, 10 % bewusst, Wer kontrolliert hier wen?

Das Gehirn hat also gelernt einen Durchschnitt zu bilden und nur das jeweils Wesentliche zu realisieren. So weiß beispielsweise jeder Mensch, wo sein Joghurt im Supermarkt steht, kennt Hunderte von Läden und Tausende von Produkten. Im Umkehrschluss aber blenden wir Millionen von Details aus. Ähnlich selektiert das Gehirn in einem Onlineshop oder auf einer Website. Der Nutzer evaluiert in wenigen Sekunden Hunderte von Botschaften, Texten, Bildern, etc. Diese Eindrücke erzeugen die subjektive Realität des Nutzers und entscheiden darüber, wie das weitere Handeln ablaufen wird. Bis zu 90 % des Erfassten ist unbewusster Natur. Der Website-Nutzer interpretiert also größtenteils im Autopilot. Handlungsentscheidungen über das Gesehene werden geradezu diktiert. Es stellt sich also die Frage, wer hier am Ende das Sagen hat. Wer ist der Regisseur und wie viel Kontrolle hat der Mensch wirklich?

Autopilot online

Gerade online muss sich der Mensch auf Basis einer stark reduzierten Wahrnehmungsebene zurechtfinden. Keine Gerüche stimulieren ihn, den nächsten Shop für Backwaren beim Vorbeischlendern anzusteuern. Es besteht keine Möglichkeit, Mimik und Gestik in einem Website-Nutzer-Dialog zu bewerten. Wie aber funktioniert die digitale Kommunikation und wie sondiert der Nutzer die eintreffenden Botschaften? Zum einen geschieht dies über bereits erwähnte selektive Wahrnehmung und Gedächtnisspeicher (die Struktur), welche jeder Mensch im Laufe seines Lebens individuell ausbildet. Zum anderen aber sorgen sogenannte kognitive Heuristiken für die Selektion und Interpretation von Informationen.

Heuristiken sind mentale Strategien, Faustregeln oder Abkürzungen, die helfen, mit begrenztem Wissen und in kurzer Zeit Entscheidungen zu treffen und Urteile zu fällen.

Digitale Kommunikation im Fokus

Der mentale Autopilot navigiert den Menschen also erfolgreich und oft unbewusst durch den (Online-) Alltag. Dieser Autopilot ist demnach ein wesentlichen Bestandteil der menschlichen Kommunikation. Und eine erfolgreiche Kommunikation zwischen Website und Nutzer zu etablieren, ist doch letztendlich das, worum es sich in der Online-Welt aktuell dreht. Lassen Sie einmal bewusst die Traffic-Schrauben außen vor. Ein Beispiel für eine gelungene Kommunikation zeigt Apple mit dem neuen Imac (Abb. 1). Die übermittelten Botschaften zielen auf eine gewollte Zielgruppe ab: Extravaganz, Dominanz, Überlegenheit, etc. nach dem Preis fragt hier keiner mehr. Das “Können” wird zum “Müssen”.

Erfolgreiche digitale Kommunikation am Beispiel des iMac

Es gilt nun also einen Conversion-Optimierungs-Prozess zu etablieren, welcher die Bedürfnisse der Zielgruppe und deren unbewusste Muster in den Fokus rückt. Interessante Impulse hierzu liefert das Modell der Systemtheorie. Systemisches Denken kann dabei helfen, einen erfolgreichen “Website-Nutzer-Dialog” zu fördern, ihn reflexiv und eindeutiger zu gestalten.

Die Systemtheorie wurde im Laufe der Zeit von verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen (Biologie, Kybernetik, Sozialtheorie) herangezogen, um sich komplexen Sachverhalten (Systemen), wie beispielsweise dem Menschen, zu nähern. Mittels systemischen Denkens lassen sich Strukturen und Dynamiken von Systemen umfassend betrachten. Dies erlaubt eine realistische Vorhersage über das Verhalten des Systems “Website-Nutzer” und kann sinnvoll im Bereich der Conversion-Optimierung eingesetzt werden.

Systemtheorie im Schnelldurchlauf

Überall dort, wo Menschen oder Systeme kommunizieren und ein progressives sowie lösungsorientiertes Verhalten gefördert werden soll, kann die Systemtheorie zum Einsatz kommen. Kommunikation und Autopilot sind dabei eng miteinander verknüpft. Systemtheoretisch lässt sich der Autopilot über verschiedene Steuerungseinheiten des Systems Mensch erfassen:

1. Strukturdeterminiertheit

Lebende Systeme werden von ihrer eigenen Struktur und nicht durch die Umwelt bestimmt. Die aktuelle Struktur legt fest, wie das System angesprochen werden kann. Die eingenommene Struktur ist durch Erfahrungen, Ängste, Bedürfnisse und die ganze Lebensgeschichte bestimmt.

Ziel: Durch Kenntnis über vorherrschende Strukturen in der Zielgruppe, kann durch den Einsatz kognitiver Heuristiken auf diese eingegangen werden. Mittels systemischer Fragetechniken lassen sich diese herausarbeiten und Barrieren, Ängste sowie Bedürfnisse des Systems entdecken. Beispiel: Struktur = „braucht Vertrauen“ → kognitive Heuristik = “Testimonial”, “social proof”, etc.

2. Komplexitätsreduktion

Systeme entwickeln unbewusste Strategien zur Eindämmung der alltäglich einwirkenden Informationsflut. Was hat tatsächlich Relevanz? Der Autopilot des Systems filtert genau die Informationen heraus, welche ihm in einer bestimmten Situation als sinnvoll erscheinen.

Das Ziel ist es, interessante Impulse zu setzen, um eine Neuordnung der Struktur anzuregen und die dargebotene Information als relevant erscheinen zu lassen. Hier können Techniken, wie beispielsweise das “Story-Telling”, zum Einsatz kommen.

3. Autopoiesis und Homöostase

Systeme folgen immer ihrer eigenen, inneren Logik. Was das System in seine Logik aufnimmt, hängt jedoch von dem jeweiligen Kommunikationsprozess ab, in dem Sinn übertragen wird. Das System fragt sich also: Ergibt diese Information für mich einen Sinn oder kann das weg? Zudem versuchen Systeme den Status Quo zu erhalten und streben nach innerem Gleichgewicht.

Ziel einer erfolgreichen Kommunikation muss es sein, Botschaften mit für das System passenden Sinn zu versehen. Der eine braucht Abenteuer, sucht also Stimulanz und ist eher ein kreativ-neugieriger Typ. Dem anderen sind Werte wie Zuverlässigkeit, Geradlinigkeit und Vertrauen wichtig, was auf ein starkes Sicherheitsbedürfnis hindeutet. Solchen Kunden sind etwa Qualität und eine umfassende Beratung wichtig.

4. Kommunikation

Systeme können mit ihrer Umwelt in Verbindung treten und sich austauschen. Hierbei muss jedoch beachtet werden, dass ein System nur “verstört” werden kann. Eine Veränderung erfolgt nur aus dem System selbst heraus. Sie kann von der Umwelt nicht erzwungen werden. Wie schon angedeutet, steht und fällt die Informationsaufnahme zwischen Systemen mit einer angemessenen Kommunikation, welche das System in seine innere Logik einarbeitet.

Erfolgreiche Kommunikation muss: a) die Struktur des “Ziel-Systems” verstehen b) die Firewall durchbrechen (relevant sein) c) vom “Ziel-System” sinnhaft interpretiert und adaptiert werden.

Ansprache Nutzer A (Abenteuer) vs. Ansprache Nutzer B (Sicherheit)

Lösungen im Fokus

Systemisches Denken ist eng mit einem lösungsorientierten Arbeiten verknüpft. Diese Grundhaltung bedeutet laut Steve de Shazer und Insoo Kim Berg, dass es hilfreicher ist, sich auf Wünsche, Ziele, Ressourcen und Ausnahmen vom Problem zu konzentrieren, anstatt auf die Probleme selbst und deren Entstehung.

a) Was will der Nutzer wirklich?

Es kann nicht oft genug betont werden, dass das Aufsetzen der Nutzerbrille einen unumgänglichen Faktor für eine erfolgreiche Website-Nutzer-Kommunikation darstellt. Um die Wünsche der Nutzer kennenzulernen, können systemische Fragetechniken, qualitative Interviews, Fokus-Gruppen, Umfragen, Kundenbewertungen, Eye-Tracking-Analysen, Mousetracking-Analysen usw. zum Einsatz kommen.

b) Was läuft schon gut?

Das Rad muss nicht immer neu erfunden werden. Es gilt vielmehr zu entdecken, was bereits gut funktioniert und worauf aufgebaut werden kann. Es gilt nach Möglichkeiten zu fragen, nicht auf Probleme zu fokussieren.

c) Welche Ausnahmen lassen sich finden?

Explorative Ansätze ermöglichen neue Lösungen und somit innovatives Handeln. Auch negatives Feedback ist nützlich und kann beispielsweise via Reframing positiv umgedeutet werden.

Aus diesen und weiteren lösungsorientierten Fragestellungen lassen sich Arbeitshypothesen konstruieren, welche auf der Website umgesetzt und verifiziert werden können. Wie aber könnte ein Prozess aussehen, welcher sich iterativ dem System “Website-Nutzer” nähert und erfolgreiche Kommunikation mit diesem ermöglicht?

Der Kreislauf systemischen Arbeitens

Systemisches Denken ist eng mit einem lösungsorientierten Arbeiten verknüpft. Diese Grundhaltung bedeutet laut Steve de Shazer und Insoo Kim Berg, dass es hilfreicher ist, sich auf Wünsche, Ziele, Ressourcen und Ausnahmen vom Problem zu konzentrieren, anstatt auf die Probleme selbst und deren Entstehung.

Systemiker bilden während des gesamten Arbeitsprozesses immer wieder Hypothesen. Diese werden geprüft, angenommen oder gegebenenfalls verworfen. Dieser Prozess verhält sich zirkulär, da die Hypothesen immer wieder an den Kunden zurückgespiegelt werden. Die Perspektive wird nach jedem Durchgang entsprechend justiert, um Bedürfnisse und Ängste des Website-Nutzers besser zu verstehen. Es entsteht eine zirkuläre Nährung zum Website-Nutzer hin.

Der Kunde - mein bester Freund

Systemisches Denken ist ein Ansatz, um dem eigenen Kundenkreis und somit gelungener Website-Nutzer-Kommunikation schrittweise näher zu kommen. Werden die Prinzipien richtig eingesetzt, können Sie mit Ihren Botschaften mehr Nutzer erreichen und eine positive Reaktion des Kunden erzeugen. Folgende Denkprozesse können Sie mitunter durch systemische Techniken anregen:

  • Nutzer in den Fokus rücken
  • erkennen, dass Nutzer sowie Online-Umgebung im Wandel stehen
  • lösungsorientiertes und nicht problemzentriertes arbeiten
  • eigene Denkmuster erkunden
  • neue Perspektiven einnehmen
  • zirkuläre Prozesse anregen
  • Hypothesen bilden und Ideen generieren
  • Blockaden lösen und Probleme umdeuten
  • Website-Botschaften mit Sinn versehen
  • Conversion-Optimierungs-Prozesse verfeinern

 

Nutzen Sie die vorgestellten Sichtweisen und fördern Sie Synergien zwischen vorliegenden Analytics-Daten und den Individuen dahinter. Scheuen Sie keine explorativen Ansätze. Beziehen Sie Ihre Nutzer mit ein. Der Kunde wird es Ihnen danken und bedenken Sie: “Kommunikation ist eine Kette mehr oder weniger nützlicher Missverständnisse” (Steve deShazer).

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